Über die Unfähigkeit, Geschichten zu erzählen

Eine weitläufige Totale. Zwei Männer tragen einen länglichen Gegenstand durchs Bild. Die Sekunden verstreichen in Zeitlupe, während man sich in der hübsch angeordneten Mise-en-scènce verliert. Im nächsten Bild nichts Neues. Auch im nächsten nicht. Bis sie einen Krater erreichen, in dem sie den Gegenstand aufstellen: einen Fahnenmasten. Dies, der ganze Film. Ausgedehnt auf knapp zehn Minuten. Einen Sinn zu hinterfragen - hat er nicht verdient.

 

Ein anderes Beispiel. Ein Coming of Age-Drama. Man sieht den Protagonisten, wahlweise auch die Protagonistin minutenlang von hinten. Idealerweise mit Kaputzenpulli. Steadicam verfolgt, irgendwo in der Pampa. Die Entfernung von der Gesellschaft, Isolation, Einsamkeit. In Gedanken versunken. Nur dass dem Zuschauer diese Gedanken verwehrt bleiben und dieser Mühe hat, sich zusammen zu reimen, was wohl Ziel dieser Geschichte ist. Immerhin bricht die Protagonistin, nachdem sie im Profil kurz stehen geblieben ist, in Tränen aus. Ein klarer Beweis: hier stimmt etwas nicht in der Gefühlswelt. Doch endet dies wieder in der Blickstarre.

 

Eine Duschszene, nackte Haut. Minutenlang. Die Protagonistin wieder von hinten. Ästhetisch gefilmt, ohne Frage. Erotisierend. Auch. Doch bleibt die Fortschreibung der Geschichte hinter den Bildern zurück. Das kann beliebig fortgesetzt werden. An unterschiedlichen Orten, zu unterschiedlichen Tages- und Nachtzeiten, mit unterschiedlichen Protagonisten. Wenn sich Filmemacher in der Texturierung ihrer Welt verlieren, kommt die Struktur zu kurz. Und ohne Struktur gibt es auch keine Geschichte, die es zu erzählen gilt. Und macht den Film zu einem nichtigen Unterfangen.

 

Gerade in der artifiziell dominierten Festivalwelt sind es aber eben jene subversiven Stoffe, sofern hier überhaupt schon von Stoff gesprochen werden kann, die immer wieder aufs Neue Programmjurys begeistern und das Publikum fragend zurück lassen. Dies natürlich nicht zugebend oder kritisierend, immerhin wurden die Filme ja von einer Fachjury ausgewählt. Und die Jury wird schon wissen, warum sie den Film ausgewählt hat. Kontrovers darf es sein, neue Narrationen: natürlich erlaubt und gewünscht. Die Weiterentwicklung der Filmsprache? Ja bitte!

 

Aber bei alldem nicht vergessen: gepunktet wird ausschließlich mit einem Kino der Emotionen, das die Menschen berührt, bewegt, zum Lachen bringt, das Fürchten lehrt, mitzittern und bangen lässt. Nichts und rein gar nichts anderes müssen Geschichtenerzähler beherzigen. Sie müssen ihr Publikum mitreißen, begeistern und mit einem Gefühl der Wärme zurücklassen, die einzig und allein ein Kinosessel bieten kann.

 

 

Egal, in welchem Genre man sich bewegt. Jeder gute Film baut auf dem simplen dramaturgischen Konzept auf, das schon Aristoteles in seiner Poetik beschrieb und sich bis heute nicht verändert hat. Denn das würde bedeuten, dass sich die Menschen verändert hätten in ihrem Wesen, ihre Umwelt und die Welt wahrzunehmen und zu interpretieren. Und die Sinne werden nunmal insbesondere durch äußere Reize, also sinnliche Erfahrungen angesprochen, die emotionale Auslöser für unsere Gefühlswelt sind. Konflikte sind also ebenso notwendig wie gewünscht. Ohne Konflikt, keine Spannung und da ist die Langeweile nicht mehr weit.

 

Beziehungen: das nächste Zauberwort. Denn muss sich in Geschichten auch erschließen, wie die Figuren zueinander stehen oder gerne zueinander stünden. Egal, ob sich Feinde begegnen oder möglicherweise künftig Liebende. Der Funke muss überspringen zum Zuschauer, der die Emotionen der Handelnden spüren muss, um für diese Sympathie oder Antipathie erlangen zu können. Denn das ist unweigerlich notwendig dafür, ob sich der Zuschauer weiter für die Belange interessiert oder geistig abschaltet.

 

Das Profane ist der Feind des intellektuellen Geistes

 

Ich war noch nie der Freund von den modernen Teenagerjungen-Geschichten, die ihre Emotionen verbohrt herunterschlucken, den anderen Charakteren Informationen vorenthalten, aber nicht weil sie es müssten, sondern weil dies eben so im Drehbuch steht. Man würde ihnen am liebsten eine Scheuern und ihnen ins Gesicht brüllen: "Jetzt doch mal raus damit!" Damit wird zwar ohne Frage eine Emotion generiert, doch keine für die eigentliche Geschichte, sondern auf die Erzählart des Films. Nichts Schlimmeres gibt es, als einen Film aufgrund seiner Machart zu hassen, den Filmemacher zu verachten ob seiner Ignoranz gegenüber den Belangen des Publikums.

 

Und das erscheint als das Hauptproblem narrativer Impotenz: wenn es nur noch um die reine Provokation geht. Eine egomanische Tour de Force des Filmemachers, der sich über sein Publikum erhebt und sich der kulturkritischen Avantgarde und dem Feuilleton unterwirft, die sich der intellektuellen Onanie hingeben und die Konvention verachten.

 

Doch was ist falsch daran, Menschen unterhalten zu wollen? Sie aus ihrem Alltag zu entreißen, anstelle Realität zu reproduzieren, die schon in 1. Ebene oft viel zu langweilig ist, als modifizierte 2. Ebene aber gänzlich versagt? Was ist falsch daran, Fluchtmöglichkeiten zu bieten und größere, bessere und schnellere Wirklichkeitskonstrukte aufzubauen? Was ist falsch an Fantasiewelten, epischen Darstellungen und horrenden Überzeichnungen? Nichts, ganz im Gegenteil. Es wäre nur allzu schön und ein sehr verführerischer Gedanke, wenn die Filmemacher den Mut aufbrächten, sich aus der Diktatur der Realitätskonventionen zu befreien und wieder die Aufgabe wahrzunehmen, die ihnen zukommt. Die, gute Geschichten zu erzählen!

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Ladawn Diep (Samstag, 04 Februar 2017 10:59)


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