Alle reden über Storytelling, nur die Wenigsten erzählen richtige Geschichten

Man sollte meinen, wir leben in wundervollen Zeiten voller lebendiger, spannender Geschichten und hochtalentierter Geschichtenerzähler. "Storytelling" wird gerne genutzt von vielen Anbietern professioneller Kommunikationen, die mit diesem Begriffskonstrukt verschiedenste Dienstleistungen anbieten. Doch muss ich leider viel zu oft feststellen, dass sich hier oftmals nur eine hohle Phrase verbirgt, bei der mit schönen Hochglanzbildern kaschiert wird, dass eigentlich dann doch nichts Handfestes erzählt wird. Das ist aber wohl unserer Zeit geschuldet, in der die Fassade mehr gilt als eine substanzielle, spannende Geschichte. Schade eigentlich, denn kann mithilfe eines gut durchdachten Storytellings tatsächlich eine Botschaft Interesse wecken und sich viral in der Welt verbreiten.

Ein wunderbar schlechtes beziehungsweise unbefriedigendes Beispiel ist die aktuelle CANON Fernsehwerbung. Hier begleitet man einen kleinen Jungen, der in einem ziemlich dunklen Setting losläuft und sich die Umgebung schrittweise erhellt, der Junge immer älter wird, bis er zum jungen Mann gereift ist. Am Ende folgt der Slogan: "Was immer deine Geschichte ist. Erzähl sie richtig!". schön  auf Hochglanz poliert und mit eingängiger Musik unterlegt.

 

Doch was für eine Geschichte wird hier erzählt? Eine Person bewegt sich von A nach B in der Zeit, seine Umwelt verändert sich. An Banalität ist dies nicht zu unterbieten, zumal nicht neu in der Werbebranche. Denken wir zum Beispiel an die verbotene xBox-Werbung, bei der ein Baby quasi aus dem Mutterleib katapultiert wird und in Schallgewindigkeit durch die Luft geschossen wird, immer älter wird, bis unser Protagonist als Greis im Grabe landet.

Man mag dem CANON-Spot zugute halten, dass das Unternehmen vermitteln möchte, dass sie nur die Technologie zur Verfügung stellen, sich die Kundschaft dann selbst die eigenen Geschichten ausdenken soll. Das ist aber nur Struktur mit einer bloß hinlänglicher Texturierung der Geschichte. Während die Struktur den Vorantrieb einer Geschichte beschreibt, so unterstützt die Textur unsere Wahrnehmung auf eine Geschichte mit all ihren Facetten, gibt uns weitere Informationen über Personen, Orte und Situationen, die hierdurch auch einen Emotionalisierungseffekt mit sich führen, da die Textur für die Interpretation des sinnlich wahrnehmbaren Ereignisses hilft.

 

"Der Mann geht in ein Haus." - klingt nicht wirklich spektakulär, oder? "Der Bankräuber betritt das Bankgebäude." Da gehen doch schon eher die Alarmleuchten an. "In der Bank ist fünf Minuten vor Kassenschluss. Der maskierte Bankräuber betritt mit einer geladenen Schrotflinte die Bank." Das Kopfkino beginnt. Und eben dies macht doch die Stärke einer guten, emotionalen Geschichte aus. Idealerweise sollte diese natürlich originell und neu sein. Eine ziemliche Herausforderung, denn wurden quasi schon alle Geschichten in irgendeiner Weise schon einmal erzählt. 

 

Einen guten Überblick über verschiedene Plots geben Ronald B. Tobias und Petra Schreyer in "20 Masterplots - Die Basis des Story-Buildings in Roman und Film". Die Stärke einer Geschichte macht es dann aus, aus dem Plot - also den reinen Handlungsverlauf durch entsprechende Elemente so zu gestalten, dass sie bei den Rezipienten Emotionen auslösen. Doch erstaunlich, wie unkreativ gerade die Werbeindustrie oftmals mit dieser Grundregel umgeht und lieber voneinander abschreibt. Weiteres Beispiel gefällig? Diesmal am Beispiel von Bärenmarke.

Immerhin: im Vergleich zum CANON-Spot arbeitet Bärenmarke mit deutlich stärkeren emotionalen Prägungen, so wird der Protagonist in Beziehung zu anderen Personen gesetzt auf seiner Reise durchs Leben. Seine Eltern, die bei den ersten Schritten bangen, ihn aber stets ermutigen, weiter zu machen, größere Ziele zu erreichen, größere Berge zu bezwingen. Die Welt, die sich vor den Kinderaugen auftut, ist so gewaltig, die Gipfel so unerreichbar. Und plötzlich ist aus dem großen Berg ein Baumhaus geworden, auf das der zum Mann gereifte Junge zu seiner Tochter klettert, um sie mit einem Glas Milch (in einer anderen Variante mit Kakao) zu versorgen. 

 

Auch als Betrachter dieser Geschichte sind wir nicht allein. Über all dem wacht mit freundlichem, wissendem Blick der Bärenmarken-Teddy.  Ein Begleiter, den wohl alle Erwachsenen in Deutschland als treue Kindheitserinnerung mitbringen und so der Brückenschlag zur eigenen Elternschaft wunderbar funktioniert. Mal abgesehen davon, dass man sich mit der CGI-Variante des Knuddel-Teddys, den wir noch als Plüschvariante kennen und lieben gelernt haben, als dieser die gute Alpenmilch in Blechkannen abfüllte, bisher nicht so richtig anfreunden konnten.

 

Hinzu kommt die warme Erzählerinnenstimme, die uns wertvolle Erziehungstipps gibt: "Einfach machen lassen!" - glaubt an Euer Kind, es wird es schon schaffen, so wie Ihr es ja auch gemeistert habt. Das funktioniert schon recht ordentlich, zumal auch hier ein klarer Bezug zum Produkt als eiserner Begleiter hergestellt wird, das heute natürlich mit einer deutlich breiteren Produktpalette - auch kinderfreundlich - aufwartet. Denn wer erinnert sich nicht an das Hauptgut: die Kondensmilch aus der Blechdose, deren beiden gestochenen Löcher nach kurzer Zeit diese ekligen verhärteten Milchkrusten bildeten?

 

Jeder professionelle Kommunikationsproduzent tut gut daran, sein Storytelling eng mit seinem Produkt zu verbinden, auch wenn es natürlich nicht darum geht, dieses in den Fokus zu rücken. Den richtig erfolgreichen Geschichtenerzählern gelingt dies Huckepack, lassen die Geschichte zum Vehikel werden, in dem die Werbebotschaft erst spät oder sogar nur auf einer Metaebene auftaucht. Und passend zu dieser Metapher gibt es auch ein Paradebeispiel dafür, wie ein solches Storytelling intelligent und höchst emotional zum Einsatz kommt und zwar bei einem Werbespot für den Volvo XC60, dessen Titel "Moments" schon darauf verweist, dass dies eine schöne Geschichte ist, die es zu diesem Produkt gibt, hier aber noch viele weitere zu erzählen wären.

Es handelt sich um ein Gespräch einer Mutter und ihrer Tochter, die über die Zukunft des Kindes sprechen. Eine melancholische Musik, Sepiafarben, die Ernsthaftigkeit beider Stimmen zeigt, wie bedeutsam den beiden dieses Gespräch ist, wie unsicher die Zukunft, wie zerbrechlich Beziehungen und das Leben selbst sind. Immer wieder blitzt das zu bewerbende Produkt auf, das sich als Begleiter durch alle Lebenslagen manifestiert. Und man rechnet in jedem Moment durch die beklemmende Stimmung, die erzeugt wird, mit etwas Schlimmen. Ist die Mutter schwer erkrankt? Oder gar die Tochter? Droht ein schwerer Schicksalsschlag?

 

Und auf eben einen solchen steuert die Geschichte - allein schon längetechnisch einem Kurzfilm gleich konstruiert - immer weiter zu: ein drohender Verkehrsunfall, bei welchem das Mädchen beinahe angefahren wird, würde hier nicht die autonome Automobiltechnik nicht rechtzeitig eingreifen und das Fahrzeug direkt vor dem Kind zum Stehen bringen. "Introducing the Future of Safety" heißt da der Werbeslogan, der in diesem Kontext zeigt, was für schwerwiegende Konsequenzen das Leben haben könnte, wäre hier nicht modernste Technologie zum Einsatz gekommen. So enthält die Werbebotschaft ein hermeneutisches Gewicht, dem sich wohl nur die wenigsten Zuschauer entziehen können.

 

Vier Varianten eines sehr ähnlichen Plots, einer Hero´s Journey, die doch auf ganz unterschiedliche Weise funktionieren, sicherlich auch zielgruppenspezifisch und produktorientiert. Vier verschiedene Storytelling-Konzepte mit sehr unterschiedlicher Tragweite und Narrationsstärke. Aber vier Beispiele, die in der Gegenüberstellung sehr gut vermitteln, worauf es in der audiovisuellen Dramaturgie ankommt und welche Fehler hier unbedingt zu vermeiden sind.

Also: denkt genau über Eure Geschichten nach und vergesst niemals die Emotionen!